„Einmal Hauptstadtpolitik zum Mitnehmen, bitte!“

Post findest du im MELH, Kantine im JKH und im PLH ist das Besucherrestaurant, und übrigens… Moment mal! Nochmal bitte langsam und ganz von vorn…

Wer bin ich und was mache ich hier überhaupt?

Mein Name ist Madita und ich habe im September dieses Jahres mein FSJ-P bei Wiebke im Berliner Büro angefangen.
Das FSJ-P (kurz für: Freiwilliges soziales Jahr in der Politik) lässt politisch interessierte junge Menschen aufeinandertreffen und gibt uns damit die Möglichkeit einen tiefergehenden Einblick in unsere jeweilige Einsatzstelle zu bekommen.
Meine Einsatzstelle ist also der Bundestag. Ganz schön krass.

Als wäre das alles nicht schon spannend genug bin ich keine Berlinerin, sondern in Bielefeld geboren, zur Schule gegangen und habe praktisch mein ganzes bisheriges Leben in unserer wunderschönen Leineweberstadt verbracht.
Seit dem 01. September 2020 bin ich also in der Hauptstadt und bahne mir meinen Weg durch den Großstadtdschungel. Denn auch wenn Bielefeld definitiv eine Großstadt ist und auch als solche behandelt werden will, Berlin ist da nochmal eine ganz andere Nummer.

Knotenpunkte, an der jede Bahn und jeder Bus zusammenfinden wie unser Jahnplatz? Fehlanzeige.
Trotzdem gibt’s hier in Berlin genau so viel Baustellen wie zu Haus‘ in Bielefeld. Ein Gefühl von Heimat!
Wenn auch die Berliner*innen einem wohl manchmal (unabsichtlich) das Gefühl geben doch nicht ganz so willkommen zu sein. Hier habe ich aber gelernt, dass das die Berliner Schnauze ist: „hart, aber herzlich“.  An diese Art Herzlichkeit muss ich mich aber noch gewöhnen… Ob mir da nicht vielleicht sogar die Wortkargheit der Ostwestfalen lieber ist? Man weiß es nicht.

Wie sieht denn nun aber mein Arbeitsplatz aus und was ich standardmäßig antworte, wenn die Frage aufkommt:

„Bundestag, oh cool! Aber was machst Du da den ganzen Tag eigentlich so?“

Ich war vorher mit meinem Geschichte-Leistungskurs auf Klassenfahrt in Berlin und habe dort den Bundestag besichtigt. Das dachte ich zumindest. Jetzt nach mehr als zwei Monaten kann ich aber immer noch nicht behaupten, dass ich den Bundestag richtig kenne.
Ganz verrückt ist das unterirdische Tunnelsystem. Da kann man mal gerne mehrere zehn Minuten umherwandern und kommt dann hinter dem Brandenburger Tor raus ohne ein einziges Mal das Tageslicht gesehen zu haben.
Im Tunneldurchgang entdecke ich aber immer wieder aufs Neue, wenn auch nicht immer so gewollt, neue Ecken, manch eine*r würde es auch „sich verlaufen“ nennen. Jetzt weiß ich wenigstens so grob, wie ich wo hinkomme. Beeindruckend sind die Liegenschaften (die unterschiedlichen Gebäude im Verwaltungsdeutsch) aber alle Mal. Irgendwo müssen die rund 6000 Menschen ja auch arbeiten, die bei der Bundestagsverwaltung, den verschiedenen Fraktionen und Bundestagsabgeordneten beschäftigt sind.

Anfänglich hatte ich ein bisschen Sorge, dass aufgrund der besonderen Situation einer globalen Pandemie die FSJ-Erfahrung massiv leiden wird. Dem ist ZUM GLÜCK nicht so! Das Berliner Büro gibt sich sehr viel Mühe, dass die Erfahrung trotzdem ein voller Erfolg wird. Die Mitarbeitenden Anna, Lukas und Pat habe ich nun auch kennengelernt, auch wenn das Büro nie mit voller Mann- und Frauschaft besetzt ist, da wir die Anwesenheit im Büro im Sinne des Gesundheitsschutzes untereinander aufgeteilt haben. Pandemiebedingt geht das leider nicht, das ist aber aus meinen Augen schon der einzige Nachteil der sich bisher ergeben hat.
Im Büro herrscht ansonsten eine entspannte und lockere Stimmung. Man merkt, Wiebke und ihre Mitarbeitenden sind ein Team auf Augenhöhe.

Auch mit dem Home-Office habe ich mich gut anfreunden können. Anfangs hatte ich ein wenig Sorge, dass mir die Trennung von Arbeit und Privatleben so schwerer fallen würde. Aber diese Sorge war unberechtigt. Morgendliche Sonne, die auf den Schreibtisch scheint und Mittagspause in der eigenen Küche, könnte definitiv schlimmer sein. ;)

Neben den Seminaren, die vom FSJ-Träger angeboten werden, gibt es auch ein SPD-Praktikant*innen Programm. Normalerweise beinhaltet dies auch diverse Besichtigungen und Führungen. Die sind allerdings erstmal ausgesetzt. Dafür gibt es jede Sitzungswoche mindestens einen Abgeordneten oder eine Abgeordnete, die sich von uns Praktis und FSJler*innen mit Fragen zu ihren jeweiligen Themenbereichen löchern lassen. Auch wenn die Veranstaltungen nicht in Präsenz stattfinden, verstecken können sich die PolitikerInnen vor uns nicht!

Neben den ganzen Veranstaltungen gibt es aber auch Möglichkeiten den Parlamentsalltag hautnah kennenzulernen.
Zum Beispiel habe ich eine Erkundungstour durch das Reichstagsgebäude unternommen und diese dann abschließend mit dem Besuch einer Plenarsitzung beendet. Das, was sonst auch im Parlamentsfernsehen oder in der Mediathek des Bundestags im Internet zu finden ist, habe ich live miterleben können.
Vorne am Empfang des Plenarsaales  hieß es, „Bitte keine Gegenstände nach unten werfen, nur auf die Markierungen setzen und Abstand. Ach ja, und nicht einschlafen!“
Es gibt natürlich bestimmt träge Debatten, aber hitzige Klima-Diskussionen und Ordnungsrufe lassen einen auf der Besuchertribüne absolut nicht einschlafen. Die Plenardebatten kenn‘ ich ja schon von zu Hause, oder auch YouTube Best-Of-Ordnungsrufe-Compilations, die ich mir mit meinem Bruder angeschaut habe.

Ja, im Bundestag gibt es viel zu sehen, aber natürlich gibt es auch viel zu arbeiten!
Wiebkes Team hat besonders in Sitzungswochen ganz schön was um die Ohren und dann geht’s schon mal ordentlich zu. Dann sitzt man da zwischen einem Mitarbeitenden, der an Rede-Vorbereitungen arbeitet oder wer anders hängt in einer Videokonferenz nach der anderen.
Und mitten in dem ganzen Stress bleiben alle doch ganz gelassen und ruhig bei der Sache. Hauptstadt-Politik halt.

Einen Regelablauf gibt es also echt nicht. Klar, Aufgaben wie Post holen, Briefe öffnen und so weiter gibt es auch und die müssen gemacht werden, allerdings ist jeder Arbeitstag anders.
Mal gibt es Post aus dem Wahlkreis per Mail und Bürger*innen wollen sich zu einem bestimmten Thema erkundigen oder auch einfach mal ihre Meinung loswerden. Solche Bürger*innenanfragen finde ich immer besonders spannend, vor allem weil jeder eine Antwort kriegt. Das ist der Anspruch und das ist auch gut so. Also egal ob Klimawandel-Leugner, gestresster Arbeitender mit Fragen zum Kurzarbeitergeld oder Fragen zum Behinderten-Pauschbetrag-Gesetz – jede und jeder wird gehört und kriegt eine entsprechende Antwort.

Bisher war eins meiner Highlights die digitale Bürger*innen-Sprechstunde zum Behinderten-Pauschbetrag-Gesetz. Wiebke hat per Zoom mit den Bürger*innen diskutiert und Fragen zum Thema beantwortet. Ich durfte auch dabei sein und unterstützen. Im Vorfeld bei der Vorbereitung, wie auch bei der Veranstaltung direkt. Da war ich besonders stolz, wenn der eigene Vater dann „im Publikum sitzt“ und sieht, was die Tochter im ungefähr 340 km entfernten Berlin so treibt.

„Nee, Politik ist mir zu trocken und ist doch alles nur Gelaber.“

Und klar, viel Gelaber gibt’s natürlich. Aber ganz ehrlich wie soll Politik bitte sonst funktionieren? Das „Gelaber“ nennt sich Demokratie und diese lebt vom Austausch.

Manch ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete würde sich vielleicht wünschen auch mal eine ruhige Minute zu haben und nicht nur von Termin zu Termin zu rennen, aber dass Politiker*innen-Leben ist bestimmt alles andere als langweilig. Ein nicht ganz so normaler Job, der viel kritisiert und wenig gelobt wird.

Und nicht zu vergessen: ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete ist auch nur so gut wie sein und ihr Team. Das sind dann im Endeffekt diejenigen, die hinter den Kulissen den Laden am Laufen halten.

So schnell können die ersten zwei Monate in Berlin auch schon vorübergehen! Die Zeit vergeht wie im Fluge. Was noch viel verrückter ist, wieviel ich in der kurzen Zeit schon gelernt habe. Ich bin gespannt, wie die restliche Zeit und vor allem das Wahljahr 2021 laufen wird.

Alles ganz schön aufregend…