Coronakrise: Wir müssen jetzt den gleichstellungspolitischen Rollback verhindern

Die Corona-Krise offenbart einen Rollback bei der Gleichstellung der Geschlechter. Das ist uns inzwischen breit bekannt.
Was muss, kann, soll Politik dagegen tun?

Diese Frage hat mich in den letzten Wochen sehr umgetrieben.
Franziska Drohsel, Julia Plehnert, Johanna Ueckermann und ich versuchen sie nun zu beantworten - indem wir dazu folgende, ganz konkrete Vorschläge machen:

Die Corona-Krise darf nicht zu einer Geschlechterkrise werden. Deshalb müssen wir jetzt dem Rollback in der Gleichstellung entgegentreten. Dabei kommt es besonders auf die SPD an.

Die Corona-Pandemie darf nicht zu einem Rückschlag der Gleichstellung der Geschlechter führen. Danach sieht es aber gerade aus. Mehrere Studien haben in den letzten Wochen vor allem eines festgehalten: Gerade findet eine Retraditionalisierung des Geschlechterverhältnisses statt. Frauen reduzieren ihre Stundenzahl, um wegfallende Schulen und Kitas auszugleichen. Sie übernehmen einen noch größeren Anteil an der Sorgearbeit. Ihre Karrierechancen, ihre Einkommen reduzieren sich. Die Abhängigkeit vom männlichen Erwerbseinkommen wächst. 

Die Situation entspannt sich – aber nicht für Frauen

Die aktuelle Stimmung verspricht Entspannung. Schritt für Schritt werden Lockerungen für das gesellschaftliche Leben beschlossen. Solange Kinder aber nicht im Baumarkt, im Möbelhaus, im Biergarten, im Fitnessstudio oder beim Shopping in der Innenstadt betreut werden, entspannt sich die Lebenssituation von Frauen mit Kindern aber keineswegs. Vielmehr noch laufen sie Gefahr, weiter abgekoppelt zu werden.

Die Diskussion um mögliche Lockerungsschritte zeigt überdeutlich: Während die wirtschaftlichen Interessen vieler einzelner Branchen schnell Gehör finden, sieht das bei den Interessen von Frauen anders aus. Und es sieht auch anders aus, bei den Berufsgruppen, die im buchstäblichen Sinne das System am Laufen halten und deren Arbeit zu Beginn der Corona-Krise zu recht in der Öffentlichkeit stand – jetzt jedoch kaum mehr wahrgenommen wird.

Die Krise als Chance für echte Gleichstellung nutzen

Es ist darum dringend geboten jetzt umzusteuern. Wir sehen hier die originäre Aufgabe der SPD. Denn noch immer gilt: Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Zurzeit heißt dies vor allem, den massiven Rückwärtstrend aufzuhalten und die Krise als Chance für tatsächliche Gleichstellung zu nutzen.

Wir schlagen hierzu verschiedene Instrumente vor:

1. Partnerschaftliche Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit

Wenn beobachtet wird, dass insbesondere Frauen den Mammutanteil der Sorgearbeit übernehmen, ist es geboten, staatliche Anreize für eine geschlechtergerechtere Verteilung zu setzen und Alleinerziehende besonders zu unterstützen. Für alle Eltern gilt, dass Betreuung nicht mit Homeoffice vereinbar ist, hier bedarf es dringender Entlastung! Wir brauchen eine Familienarbeitszeit, also ein Recht auf Teilzeit für alle und ein Familiengeld, wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit partnerschaftlich reduzieren. Gerade für die unteren Lohngruppen sind die aktuellen Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), also 67 Prozent des Nettoeinkommens, zu wenig, so dass zumindest in diesen Lohnsegmenten eine Erhöhung stattfinden sollte.

2. Ehegattensplitting abschaffen, Equal-Pay einführen

Das Ehegattensplitting zementiert die ungleiche Verteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen. Es ist so schnell als möglich abzuschaffen und durch einen Familientarif zu ersetzen.

Wir brauchen endlich ein wirksames Equal-Pay-Gesetz, dass nicht nur in wenigen, sondern in allen Branchen und Unternehmen in denen Frauen beschäftigt sind, Transparenz schafft und durchsetzt: Wer Mann und Frau unterschiedlich bezahlt, wird bestraft. Island macht vor, wie unabhängige Prüfgesellschaften nach und nach alle Unternehmen zertifizieren können.

3. Arbeitszeitreduzierung jetzt

Neuseeland geht mutig voran. Dort wird gerade jetzt über eine 4-Tage-Woche diskutiert. Hier sehen auch wir die Zukunft. Wir sind davon überzeugt, an einer Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit – bei vollem Lohnausgleich – führt kein Weg vorbei, wenn die Care-Arbeit in der Familie gleichberechtigt auf zwei Schultern verteilt werden soll, der dauernden Überforderung und Erschöpfung insbesondere von Frauen in der „Rushhour des Lebens“ Einhalt geboten werden soll.

Zu einem erfüllenden Leben für alle Menschen gehört, dass neben Erwerbsarbeit und Care-Arbeit auch Zeit für ehrenamtliches oder politisches Engagement, das Pflegen von Freundschaften und sozialen Netzwerken wie in der Nachbarschaft ist.

4. Für die systemrelevanten Berufe Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen

Die Krise hat die Diskrepanz zwischen der Unverzichtbarkeit bestimmter Berufsgruppen und ihrer Entlohnung offengelegt. Sichtbar wurde auch, dass es insbesondere die Frauen sind, die in diesen Berufssegmenten tätig sind als Pflegehilfskräfte, Reinigungspersonal, Verkäuferinnen, Erzieherinnen und vielfältiges Pädagogisches Personal. Darauf bedarf es einer politischen Antwort. Ein einmaliger Bonus ist nicht ausreichend. Eine nachhaltige und umfassende Verbesserung der Löhne und der Arbeitsbedingungen ist notwendig. Auf dem Weg dahin, sehen wir folgende Maßnahmen als erforderlich an: 

  • die Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro,

  • einen bundesweiten und allgemeinverbindlichen Tarifvertrag insbesondere für die Pflege, bessere Arbeitsbedingungen durch mehr Personal und kürzere Arbeitszeiten,

  • weitere allgemeinverbindliche Tarifverträge für die systemrelevanten Beruf und die Ermöglichung dessen durch entsprechende Gesetzesänderungen auf Bundesebene (z.B. Abschaffung des Vetorechts des Arbeitgebers im Tarifausschuss) mit dem Ziel die Löhne zu heben. Dabei ist für uns klar, dass der Bund und die Länder die Kommunen bei der Finanzierung stärker unterstützen müssen,

  • attraktivere Ausbildungsgänge, die auf dem dualen System aufbauen, von Beginn an angemessen vergütet werden und weitere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bieten,

  • einen Gipfel für die systemrelevanten Berufe, bei dem Politik, Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenseite zusammenkommen, um sich über nachhaltige Verbesserungen für diese Berufsgruppen zu verständigen.  Wir sehen hierbei u.a. den Bereich der Pflege, der Reinigung, des Einzelhandels und der Erzieher*innen. 

5. Bessere Bildung, die Gleichstellung befördert

Corona hat offen gelegt, wo Politik zu lange gespart hat: bei der Bildung. Der Ausbau von Betreuungsplätzen in Kitas und Ganztagsbetreuung hat auf Basis minimaler räumlicher und personeller Kapazitäten stattgefunden. Weil jetzt Kleingruppen zwingend notwendig sind, wird ersichtlich, wie beengt Kinder betreut und beschult werden. Weil jetzt Kleingruppen gebildet werden und zudem pädagogisches Personal aus den Risikogruppen ausfällt, wird ersichtlich, wie knapp der Betreuungsschlüssel bemessen ist. Wir brauchen mehr Personal und mehr Platz in Kitas, Schulen und ein bundesweites Ganztagsangebot.

Die Bildung selbst ist ein wichtiger Schlüssel für mehr Gleichstellung: Frühkindliche Bildungskonzepte und Schulcurricula müssen Jungen und Mädchen gleichermaßen fördern.

Es ist jetzt an der Zeit, dem gleichstellungspolitischen Rollback entgegenzutreten. Die Sozialdemokratie sollte hierbei mutige Vorkämpferin sein.